Nachdem ich die beiden ZEIT-Artikel von Februar bzw. Mai dieses Jahres als einseitig und stigmatisierend empfunden hatte, war ich zunächst skeptisch, welche Haltung die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.) in ihrem heute Morgen veröffentlichten Positionspapier vertreten würde. Umso mehr hat es mich gefreut, dass das Papier einen differenzierten Eindruck macht und sich – soweit ich das als Laie beurteilen kann – auf zahlreiche Studien und wissenschaftliche Quellen stützt.
Wie darin unter anderem dargelegt wird, lässt sich nachweisen, dass das Gewaltrisiko bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen erhöht ist. Das individuelle Gewaltpotenzial kann jedoch niemals allein aufgrund einer psychiatrischen Diagnose vorhergesagt werden. Es ist zwar möglich, Risikoprofile zu erfassen, doch auch damit lassen sich gewaltbereite Straftäter:innen vor ihren Taten nicht verlässlich identifizieren. Das erscheint mir plausibel, da ich Gewalt als situativ bedingt erlebe und niemanden grundsätzlich für gewaltfrei halte.
Besonders begrüße ich die klare Forderung nach einer konsequenten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Auch die Betonung der sozialen und beruflichen Teilhabe halte ich für äußerst wichtig. Ebenso notwendig ist die Thematisierung eines möglichen Ausbaus der gesetzlichen Möglichkeiten zur medikamentösen Zwangsbehandlung in „wenigen ausgewählten Fällen“ – vorausgesetzt, dies geschieht mit größter Zurückhaltung und unter sorgfältiger Abwägung zwischen individuellen Rechten und dem Schutz öffentlicher Interessen.
Was mir im Positionspapier gefehlt hat, ist der Hinweis, dass sich der langfristige Krankheitsverlauf durch gezielte therapeutische Maßnahmen deutlich verbessern kann, sich bei unzureichender Versorgung aber auch erheblich verschlechtern kann. Ziel jeder Behandlung sollte es sein, den Betroffenen ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und gesellschaftlicher Marginalisierung aktiv entgegenzuwirken.
Nicht zuletzt hätte ich mir gewünscht, dass das Papier eine differenziertere und stigmatisierungsabbauende Berichterstattung in den Medien einfordert. Einseitige und stigmatisierende Darstellungen leisten keinen Beitrag zur Gewaltprävention – im Gegenteil. Was wir dringend brauchen, ist eine nachhaltige Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Nur so können mehr Menschen frühzeitig professionelle Hilfe suchen und annehmen, ohne Angst vor Ausgrenzung zu haben.